ZARATHUSTRAS MIESE KASCHEMME

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Morgenmuffel

Der Wecker schellt. Nein, das kann doch nicht sein. Zu kurz war die Nacht, der Wecker darf noch nicht klingeln, nicht jetzt schon. Es ist gemütlich warm in meinem Bett, ich träum doch gerade so schön, er schellt nicht, das bilde ich mir nur ein.

Er schellt, unerbittlich, ohne Gnade. Es ist Zeit zum aufstehen, da führt kein Weg daran vorbei. Gut, daß es da eine Weckwiederholung gibt, man drückt den Schalter nur kurz nach hinten, und bekommt noch eine kurze Gnadenfrist. Ich kuschele mich wieder in mein warmes Bett, die Träume holen mich wieder ein. Noch etwas schlafen, das tut gut. Aber nein, das kann doch nicht sein, er schellt schon wieder. Jetzt noch lauter, in einem anderen Rhythmus als vorher, noch gnadenloser dringen die Töne in mein Gehirn vor. Die Gnadenfrist von zehn Minuten ist vorbei, jetzt heißt es aufstehen, raus aus den Federn, kein Weg führt daran vorbei.

Warum gewinne ich nicht einmal in der Lotterie, nur einmal ein Hauptgewinn, und es wäre vorbei mit dieser morgendlichen Qual. Reich wäre ich dann, sehr reich, und ich müßte nicht mehr so früh raus morgens, denn mein Bankkonto wäre ja gut gefüllt, kein Grund also, mitten in der Nacht schon aufzustehen, kein Grund, sich jeden Wochentag diesem Kampf von neuem auszusetzen.

Ich würde ausschlafen, jeden Tag, mit bestem Gewissen, und dieser Lohmüller könnte mir gestohlen bleiben. Lohmüller ist mein Vorgesetzter, und ich erinnere mich noch genau daran, was er gestern wieder für einen Aufstand machte, als ich ein paar Minuten zu spät kam. " Herr Meyer, Sie sind schon wieder zu spät", herrschte er mich an. "Seien Sie morgen pünktlich, Sie wissen ja, die Besprechung um acht, die ist sehr wichtig, und es geht ja auch um das Wohl von Ihrer Abteilung, denken Sie daran". "Ja, Herr Lohmüller, Sie können sich auf mich verlassen". Ich wollte noch mehr sagen, aber der Gesichtsausdruck von Lohmüller bedeutete nichts gutes, und so zog ich es vor, sein Büro fluchtartig zu verlassen. So ein Aufstand, und dabei war ich nur ein paar Minuten zu spät gewesen, hatte verschlafen, kann doch mal vorkommen, der soll sich nicht so anstellen.

Ein Hauptgewinn, einmal nur, so richtig absahnen, ich könnte jeden Tag ausschlafen, und niemand würde mich drängen, pünktlich im Geschäft zu sein Ich würde kündigen, und dann würde ich ganz einfach unsere Firma aufkaufen. Ich wäre dann der Chef, und Lohmüller wäre dann ein kleiner Angestellter. Alle in der Firma dürften anfangen zu arbeiten wann sie wollten, denn ausgeschlafene Mitarbeiter sind sehr wichtig. Keiner wäre mehr gezwungen, mitten in der Nacht aufzustehen, alle dürften erst einmal ausschlafen, um dann ausgeruht und gutgelaunt an die Arbeit zu gehen. Alle wären glücklich und zufrieden, außer Lohmüller. Der müßte natürlich ganz früh anfangen zu arbeiten, da würde ich kein Pardon kennen.

Herr Lohmüller, sie müssen das verstehen, der Betriebsablauf muß ja aufrecht erhalten werden, und Sie sind der richtige Mann dafür, daß auch morgens alles reibungslos läuft. Schauen Sie mich nicht so entsetzt an, Herr Lohmüller, meine Wahl ist nun mal auf Sie gefallen, und denken Sie daran, seien Sie immer pünktlich, es täte mir doch leid, wenn ich Sie entlassen müßte. Nein, Herr Lohmüller, auch am Samstag und Sonntag müssen Sie anwesend sein, ich verlasse mich da voll und ganz auf Sie. Es muß doch jemand anwesend sein, der jeden Morgen den Hof kehrt, Sie machen das schon, Herr Lohmüller, ja natürlich, im Winter sollte auch der Schnee geräumt werden. Nein, Herr Lohmüller, Ihr Büro benötige ich als Übungsraum zum Golfen, Sie verstehen, dieser Sport ist ja nicht so einfach, da muß man schon ständig trainieren, und auch Putten will gelernt sein. Nein, Herr Lohmüller, das ist doch nichts gegen Sie persönlich, Sie sind einfach mein fähigster Mitarbeiter. Selbstverständlich, es steht Ihnen ja frei, sich nach was anderem umzusehen, aber Sie wissen ja, in Ihrem Alter ist es auch nicht mehr so einfach, etwas anderes zu finden, und ich befürchte, Ihr Zeugnis würde auch nicht so gut ausfallen. Aber schauen Sie sich nach was anderem um, ich würde es aber sehr bedauern, wenn Sie uns verlassen. Ja, Herr Lohmüller, das verstehe ich ja, Sie müssen sich eben in Zukunft ein klein wenig einschränken, leider ist es mir nicht möglich, Ihnen Ihr gewohntes Gehalt zu zahlen, Sie tragen jetzt ja auch etwas weniger Verantwortung, und Sie können mit Ihrer Familie ja auch in eine kleine Wohnung etwas außerhalb ziehen, dann müßten Sie schon klarkommen. Herr Lohmüller, machen Sie Witze, ein Geschäftswagen für einen Hilfsarbeiter? Wollten Sie noch etwas sagen? Entschuldigen Sie mich, ich habe noch zu tun, Sie wissen ja, Golf ist ein schwerer Sport, ich danke Ihnen für Ihr Verständnis, auf Wiedersehen, Herr Lohmüller.

Ja, so wäre das, nicht daß ich ein nachtragender Mensch bin, aber dieser Lohmüller mit seinem Pünktlichkeitswahn, da muß man schon etwas dagegen tun. Und ich könnte jeden Tag ausschlafen, solange ich wollte, und dann könnte ich in der Firma nach dem rechten sehen, oder auch nicht, ich könnte einfach das tun, was ich will.

Er schellt, unerbittlich und gnadenlos, und dieser Ton ist so laut und schrill, mein Kopf schmerzt, warum nur diese Qual, jeden Tag. Das Bild vom Lotteriegewinn verschwimmt langsam vor meinen Augen, und ich nehme so langsam war, daß es nicht mehr der Wecker ist, der schellt, sondern das Telefon.

Es ist Lohmüller. "Herr Meyer, ist Ihnen nicht gut?"

"Es tut mir leid, Herr Lohmüller, ich habe verschlafen".

"Na gottseidank, wir dachten schon, Sie sind krank, Herr Meyer, bitte seien Sie so schnell wie möglich hier, wir brauchen Sie doch".

"Ja, Herr Lohmüller, selbstverständlich, ich werde in einer Stunde da sein, Sie können sich auf mich verlassen".

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